Schlussanträge der Generalanwältin zum Anwendungsbereich des Normalwerts

Am 6. März 2025 wurden die Schlussanträge der Generalanwältin („GA“) Kokott in der Rs Högkullen AB (C-808/23) veröffentlicht. Der EuGH wurde um Beantwortung von Fragen im Spannungsfeld zwischen Verrechnungspreisen und Umsatzsteuer ersucht.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall erbrachte die Muttergesellschaft eines (schwedischen) Immobilienkonzerns entgeltliche Verwaltungsleistungen (ua im Bereich der Unternehmensführung, Finanzierung sowie Immobilien-, IT- und Personalverwaltung) an ihre Tochtergesellschaften, die nicht voll vorsteuerabzugsberechtigt waren. Das Entgelt wurde nach der Kostenaufschlagmethode (Cost-Plus-Method), einer ertragsteuerlich grundsätzlich anerkannten Verrechnungspreismethode, ermittelt. Teil der Bemessungsgrundlage waren alle iZm Leistungserbringung entstandenen Kosten, die nach einem Verteilerschlüssel den Ausgangsleistungen zugeordnet wurden. Nicht enthalten waren jedoch Aktionärskosten sowie Kosten für die eigene Buchführung, die Revision, die Hauptversammlung, die Kapitalbeschaffung, eine geplante Ausgabe neuer Aktien und die Börsenzulassung, nachfolgend als „eigene Kosten“ bezeichnet.

Im Streitjahr überstiegen die insgesamten Aufwendungen der Muttergesellschaft die Einnahmen aus den Verwaltungsleistungen. Die Muttergesellschaft machte auf sämtliche von ihr bezogenen Eingangsleistungen den vollen Vorsteuerabzug geltend, somit auch für Eingangsleistungen, die nicht bei der Ermittlung des Entgelts für die Verwaltungsleistungen an die Tochtergesellschaften berücksichtigt wurden.

Nach Auffassung der schwedischen Behörde lag aufgrund der Nicht-Einbeziehung der „eigenen Kosten“ eine unterpreisige Leistungserbringung vor.
Fraglich war die Höhe der Bemessungsgrundlage der Leistungen der Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaften.

EuGH Towers Montesquieu & Comenius. Foto Credit: EuGH

Vorlagefragen

Dem EuGH wurden sinngemäß folgende zwei Fragen iZm der Ermittlung des Normalwertes gem Art 80 iVm Art 72 MwStRL vorgelegt:

1) Sind die Verwaltungsleistungen einer Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaften als einzigartige Leistungen iSd Art 72 MwStRL (gemeint: in genau diesem Leistungsumfang einzigartige und einheitliche Leistungen und damit nicht mit am Markt bestehenden Leistungen vergleichbar) zu betrachten, sodass sich der Normalwert mangels eines Vergleichspreises am freien Markt nach den Aufwendungen des Steuerpflichtigen richtet?

2) Falls der Normalwert iSd Art 80 iVm Art 72 MwStRL nach den Ausgaben zu berechnen ist: Sind sämtliche Aufwendungen der Muttergesellschaft zu berücksichtigen, wenn die einzige wirtschaftliche Tätigkeit der Muttergesellschaft die Verwaltung der Tochtergesellschaften ist und die Muttergesellschaft auf alle von ihr bezogenen Eingangsleistungen den vollen Vorsteuerabzug geltend gemacht hat?

Ansicht der Generalanwältin

  • Laut GA sind Verwaltungsleistungen kein untrennbares Leistungsbündel und somit keine einzigartige einheitliche komplexe Leistung. Der Normalwert sei daher grundsätzlich für jede einzelne Leistung der Muttergesellschaft anhand der Vergleichspreise auf dem freien Markt zu bestimmen (und nicht alle Aufwendungen sind einzubeziehen).
  • Laut GA stellt sich die zweite Frage im konkreten Fall nicht, da ein Vergleichspreis am freien Markt für die Ermittlung des Normalwerts zu berücksichtigen wäre. Sie führt aber ein paar allgemeine Anmerkungen dazu an:
    • Kosten iZm dem zukünftigen Erwerb einer Beteiligung oder dem Börsengang der Muttergesellschaft, sowie allgemeine Aktionärskosten und Kapitalbeschaffungskosten haben nichts mit den Verwaltungsleistungen an die derzeitigen Tochtergesellschaften zu tun und seien daher nicht zu berücksichtigen.
    • Investitionskosten, die (über einen längeren Zeitraum) für die Ausgangsleistungen verwendet werden, seien in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, allerdings sachgerecht zu verteilen. Hierfür könne analog auf den Vorsteuerberichtigungszeitraum zurückgegriffen werden.
    • Laut GA seien auch im Sinne der Vorschrift Art 80 MwStR nur vorsteuerbelastete Aufwendungen zu berücksichtigen, da nur insofern eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegen könne.

Anmerkungen

  • In der Rs Högkullen AB geht es letztlich um die Frage, inwieweit ein ertragsteuerlicher Verrechnungspreis auch in der Umsatzsteuer anzuerkennen sei. Das Umsatzsteuerrecht sieht in der Regel keinen Fremdvergleich und keine Mindestbemessungsgrundlage vor. Als umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage gilt grundsätzlich das Entgelt, welches der Leistungsempfänger für die erhaltene Leistung aufwendet. Weitere Voraussetzung für einen umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch ist ein unmittelbarer und direkter Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Umsatzsteuerrecht folgt hier somit anderen Grundsätzen als das Ertragsteuerrecht. Allerdings sieht auch das Umsatzsteuerrecht iRd Art 72 und Art 80 MwStRL für bestimmte Fälle einen “Fremdvergleich” vor. Im Wesentlichen betrifft dies Fälle, in denen das Entgelt aus außerbetrieblichen Motiven (darunter u.a. gesellschaftliche Verflechtungen) vom Normalwert abweicht und, vereinfacht ausgedrückt, Empfänger oder Erwerber nicht voll vorsteuerabzugsberechtigt sind, und dies zur Vermeidung der Gefährdung des Steueraufkommens erforderlich ist. Der Normalwert wurde in Österreich in § 4 Abs 9 UStG umgesetzt
  • Inwieweit ein ertragsteuerlich definierter Verrechnungspreis für Zwecke der Umsatzsteuer anzuerkennen sei, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Weder in der MwStRL noch im UStG finden sich dazu klare Regelungen. In Rz 521 der VPR 2021 findet sich allerdings der Hinweis, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Normalwert dem körperschaftsteuerlichen Verrechnungspreis entspricht. Aus österreichischer Sicht wäre daher ein ertragsteuerlicher Verrechnungspreis auch für Zwecke der Umsatzsteuer grundsätzlich anzuerkennen.
  • Die GA führt dazu aus, dass bei den gegenständlichen Verwaltungskosten – wenn diese unter die Regelung für den Normalwert unterliegen – ein Marktpreis anzusetzen ist. Sie sagt aber nicht, ob dieser Marktwert dem nach den Verrechnungspreisgrundsätzen ermittelten fremdüblichem Wert entspricht (im konkreten Fall waren das anteilige Kosten mit Mark-Up).
  • Sollte der Normalwert (mangels Marktwert) von den Aufwendungen ermittelt werden, wären laut Ansicht der GA umsatzsteuerlich jedenfalls nur Kosten einzubeziehen, die für die Dienstleistungen anfallen und für die der leistende Unternehmer einen Vorsteuerabzug geltend gemacht hat.
  • Es bleibt daher abzuwarten ob und wie sich der EuGH dazu äußern wird.
  • Zur ebenfalls offenen Frage nach der umsatzsteuerlichen Behandlung von nachträglichen Verrechnungspreisanpassungen (die offenbar manche Mitgliedstaaten als nicht umsatzsteuerbar sehen) sind derzeit noch zwei weitere EuGH-Verfahren anhängig SC Arcomet Towercranes SRL (C-726/23) und Stellantis Portugal S.A. (C-603/24)).
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