FS VAT News: EuGH C-639/22

EuGH C-639/22 zur Qualifikation von Pensionsfonds als "Sondervermögen"

für Umsatzsteuerbefreiung laut Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL

Am 5. September 2024 äußerte sich der EuGH in sechs Rechtssachen (C-639/22 bis C644/22) zur Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Pensionsfonds als "Sondervermögen" im Sinne des Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL (in Österreich umgesetzt durch § 6 Abs 1 Z 8 lit i UStG) qualifiziert werden können.

Political discussion

Bei Vorliegen von Sondervermögen ist die Verwaltung der Pensionsfonds (als Sondervermögen) umsatzsteuerfrei. Damit verbunden wurde die Frage zum Bestehen von Anlagerisiko behandelt.

Sachverhalt

In den verbunden Rechtssachen C-639/22 bis C-644/22 ging es um niederländische Pensionsfonds, die Vermögensverwaltungsdienstleistungen von Vermögensverwaltern (teilweise mit Sitz in den Niederlanden und teilweise außerhalb der Niederlande) erhalten haben.

Strittig war, ob die Pensionsfonds als „Sondervermögen“ iSd Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL qualifiziert werden können, sodass auf die Verwaltungsleistungen die Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Sondervermögen angewendet werden kann.

Bei den verfahrensgegenständlichen Pensionsfonds handelt es sich um Pflicht-Berufspensionsfonds, branchenspezifische Betriebspensionsfonds oder Unternehmenspensionsfonds, deren Mitgliedschaft gesetzlich vorgeschrieben ist und im Wesentlichen durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind:

  • Die Höhe der Pensionsanwartschaften und -leistungen werden auf der Grundlage des Berufseinkommens und der Anzahl der Arbeitsjahre der Mitarbeiter oder auf der Grundlage einer Regelpension berechnet.
  • Obwohl die Höhe der Pensionsanwartschaften und -leistungen nicht unmittelbar von der Anlagerendite abhängt, ist diese maßgebend für etwaige Zulagen oder Kürzungen der Pensionsanwartschaften und -leistungen.

Fraglich war insbesondere, ob bzw. inwieweit die Mitglieder des Pensionsfonds ein Anlagerisiko tragen.

Vorlagefrage

Der EuGH hatte über folgende Fragen zu entscheiden:

1) Kann davon ausgegangen werden, dass bei den verfahrensgegenständlichen Pensionsfonds die Mitglieder das Anlagerisiko tragen, und ist in diesem Zusammenhang relevant,

  • wie hoch dieses Risiko ist,
  • ob es sich um ein individuelles oder kollektives Risiko handelt,
  • wie viele Jahre das Mitglied zum Pensionsaufbau beigetragen hat,
  • dass der Pensionsaufbau in Bezug auf einen Pensionsfonds zu einem bestimmten Zeitpunkt unterbrochen wurde, oder
  • dass ein Arbeitgeber für einen bestimmten Zeitraum eine Garantie für den angestrebten Pensionsaufbau übernommen hat.

2) Ist im Lichte des Neutralitätsgrundsatzes bei Pensionsfonds, die keine Organismen für gemeinsame Anlage in Wertpapieren („OGAW“) sind, nicht nur ein Vergleich mit einem OGAW durchzuführen, sondern auch zu beurteilen, ob die Pensionsfonds mit anderen Fonds, die zwar keine OGAW sind, aber von dem betreffenden Mitgliedstaat als Sondervermögen im Sinne des Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL betrachtet werden, vergleichbar sind.

Entscheidung des EuGH

Vergleichbarkeit mit einem OGAW

Zunächst verweist der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung iZm der Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Sondervermögen und führt aus, dass als „Sondervermögen“ iSd Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL neben OGAW iSd OWAG-RL auch Fonds anzusehen sind, die zwar keine OGAW darstellen, jedoch dieselben Merkmale wie diese aufweisen und somit dieselben Umsätze tätigen oder diesen zumindest soweit ähnlich sind.

Ein Pensionsfonds ist einem OGAW grundsätzlich ähnlich und damit als Sondervermögen zu betrachten, wenn das Anlagerisiko von den Mitgliedern getragen werden.

Anlagerisiko

Das Anlagerisiko wird von den Mitgliedern getragen, wenn die vom Mitglied bezogene Pension von den Ergebnissen der Anlagen des Fonds abhängen – und zwar so wie die Gewinne von Anteilsinhabern eines OGAW von den Anlagen des OWAG abhängen. Das Risiko der Mitglieder des Pensionsfonds muss daher mit dem Risiko vergleichbar sein, dass Anteilsinhaber eines OGAW im Zusammenhang mit dem Vermögen tragen, dass sie in diesen Organismus investieren.

Der EuGH stellt klar, dass dies nur der Fall sein kann, wenn sich die Ergebnisse des Pensionsfonds maßgeblich auf die Höhe der Pensionsanwartschaften und – leistungen auswirken. Die Pensionsanwartschaften und – leistungen müssen in erster Linie von den Ergebnissen der Anlagen dieses Fonds abhängen und dürfen nicht weitgehend in Abhängigkeit von der Dauer der Beschäftigung beim Arbeitgeber und der Höhe des Gehalts vorbestimmt sein. Sprich - die Ergebnisse der Anlagen des Fonds muss ein Hauptfaktor für die Bestimmung der Höhe der Pension sein.

Der Umstand, dass allfällige Zulagen oder Kürzungen der Pensionsanwartschaften und – leistungen von den Ergebnissen der Anlagen des Fonds abhängen, scheint für den EuGH nicht ausreichend zu sein, da sich in diesem Fall die Ergebnisse der Anlagen des Fonds nur am Rande auf die Höhe der Pension auswirken.

Relevanz anderer Umstände

Weiters stellt der EuGH klar, dass folgende Umstände bei der Beurteilung des Anlagerisikos unerheblich sind:

  • Das Anlagerisiko wird auf alle Mitglieder des Fonds verteilt und seine Auswirkung sind daher mäßig.
  • Die Anzahl der Jahre, über die ein Mitglied seine Pensionsanwartschaft aufgebaut hat.
  • Der Umstand, dass der Zeitraum für den Aufbau der Anwartschaft im Zusammenhang mit dem Pensionsfonds zu einem bestimmten Zeitpunkt unterbrochen wurde (zB weil der Pensionsfonds aufgrund finanzieller Schwierigkeiten verpflichtet ist, sein Vermögen auf eine andere Einrichtung zu übertragen).

Zu beachten ist jedoch der Umstand, dass ein Arbeitgeber für einen bestimmten Zeitraum eine Garantie für den angestrebten Pensionsaufbau übernommen hat. Dieser Umstand könnte laut EuGH nämlich zu einem Wegfall des Anlagerisikos führen, wenn sich die Garantie insofern auf die Pensionsanwartschaften und – leistungen auswirkt, dass die eingezahlten Beiträge zu einer Pension in einer bestimmten Höhe führen, die von den Ergebnissen der Anlagen des betreffenden Pensionsfonds unabhängig sind.

Vergleichbarkeit mit anderen Fonds,

die vom betreffenden Mitgliedsstaat als Sondervermögen im Sinne des Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL betrachtet werden:

Letztlich stellt der EuGH klar, dass nicht nur ein Vergleich mit einem OGAW durchzuführen ist, sondern im Hinblick auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität auch geprüft werden muss, ob der Pensionsfonds im Hinblick auf die rechtliche und finanzielle Situation des Mitglieds im Verhältnis zu deinem Pensionsfonds mit anderen Fonds vergleichbar ist, bei denen es sich zwar nicht um OGAW handelt, die aber von dem betreffenden Mitgliedstaat als Sondervermögen iSd Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL betrachtet werden.

Ob dies der Fall ist, obliegt laut Ansicht des EuGH der Prüfung durch das nationale Gericht.

Praktische Auswirkungen

Dass der EuGH – vorbehaltlich der Prüfung durch das nationale niederländische Gericht (insb betreffend die Vergleichbarkeit mit anderen Fonds, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Sondervermögen betrachtet werden) – zu dem Ergebnis gelangt, dass die verfahrensgegenständlichen niederländischen Pensionsfonds eher nicht unter den Begriff "Sondervermögen" iSd Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL fallen, erscheint uE nicht überraschend.

Der EuGH hat bereits in seiner bisherigen Rsp iZm der Qualifikation eines Investmentfonds, in dem das Kapitalvermögen eines Altersversorgungssystems zusammengeführt wird, als Sondervermögen iSd Art 135 Abs 1 lit g MwStSystRL (EuGH 7. März 2013, Rs C-424/11, Wheels ua sowie EuGH 13. März 2014, Rs C-464/12, ATP PensionService A/S) klargestellt, dass das wesentliche Kriterium zur Qualifikation als Sondervermögen ist, dass die Mitglieder das Anlagerisiko tragen. Diese Aussage wurde bereits in den österreichischen Umsatzsteuerrichtlinien eingearbeitet (vgl. UStR Rz 772a).

Zu begrüßen sind uE die weitergehenden klarstellenden Ausführungen des EuGH, welche Umstände maßgeblich sind, um zu beurteilen, ob die Mitglieder das Anlagerisiko tragen.

Interessant ist uE, dass der EuGH nicht auf die sonstigen Kriterien eingeht, die vorliegen müssen, damit ein Organismus als mit einem OGAW vergleichbar betrachtet werden kann – insb auf das Kriterium der Kapitalbeschaffung beim Publikum sowie die Rücknahme- oder Auszahlungsverpflichtung.

Laut Ansicht der Generalanwältin, Kokott, in den Schlussanträgen zu den Rs C-639/22 ua dürften diese beiden Kriterien in den gegenständlichen Fällen nicht erfüllt sein, sodass die Generalanwältin – vorbehaltlich einer Prüfung durch das nationale Gericht - zu dem Ergebnis gelangt, dass die verfahrensgegenständlichen Pensionsfonds - nicht nur mangels des Anlagerisikos der Mitglieder - nicht mit OGAWs vergleichbar sind.

Die mangelnde Bezugnahme des EuGH auf die Kriterien der Kapitalbeschaffung beim Publikum und der Rücknahme- oder Auszahlungsverpflichtung könnte aber uE der expliziten Formulierung der Vorlagefragen - ob die Mitglieder des Pensionsfonds das Anlagerisiko tragen - geschuldet sein.

Eventuell könnte das Judikat – aufgrund des Wegfalls der Zwischenbankbefreiung ab 1.1.2025 - für österreichische Pensionskassen relevant sein. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zur Voraussetzung, dass das Anlagerisiko von den Begünstigten der Pensionskassen getragen werden muss, bekräftigt.

Ist daher klar, dass das Anlagerisiko nicht von den Begünstigten der Pensionskassen getragen wird, kann die Steuerbefreiung für die Verwaltung von Sondervermögen gem § 6 Abs 1 Z 8 lit i UStG nicht angewendet werden. Aufgrund der Abschaffung der Zwischenbankbefreiung mit 1.1.2025 wären die Leistungen auch zwischen den bisher in § 6 Abs 1 Z 28 2. Satz UStG genannten begünstigten Unternehmen daher jedenfalls steuerpflichtig.

In Fällen, in denen das Anlagerisiko von den Begünstigten getragen wird, wäre im Einzelfall zu prüfen, ob die Pensionskasse einem OGAW oder einem anderen Organismus, das vom Mitgliedstaat als Sondervermögen betrachtet wird, vergleichbar ist und die Steuerbefreiung gem § 6 Abs 1 Z 8 lit i UStG daher angewendet werden kann.

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