Geopolitisches Risiko: SSM Supervisory Priority 2025–2027

Krieg in Europa und Nahost, Deglobalisierung, Cyberattacken: Die disruptive Natur geopolitischer Risiken stellen traditionelle Prognoseinstrumente im Bankrisikomanagement infrage und die Ereignisse der letzten Jahre haben die Bankenaufsicht auf den Plan gerufen.

Doch was genau hat die EZB vor? Und wie können sich Banken optimal auf die neuen regulatorischen Vorhaben vorbereiten? Dies und Weiteres erfahren Sie im folgenden Artikel.

Auf einen Blick:

  • Geopolitisches Risiko nimmt in den SSM Supervisory Priorities 2025–2027 einen prominenten Platz ein.
  • Der Aufsichtsfokus wird auf den Themen Governance, Szenarioplanung, Kreditrisiko sowie operationelle Resilienz liegen.
  • Next Steps: Banken sollten sich proaktiv auf die Implementierung vorbereiten.

1. Der Ansatz der EZB zu geopolitischem Risiko nimmt konkretere Formen an

Die kürzliche Veröffentlichung der SSM Supervisory Priorities 2025–2027 macht deutlich, welche Bedeutung die EZB geopolitischen Risiken zukommen lässt (siehe Abbildung 1).

Die disruptive Natur geopolitischer Risiken stellt traditionelle Prognoseinstrumente im Bankrisikomanagement infrage, daher hat die EZB eine Eintaxierung geopolitischen Risikos in drei Transmissionskanäle vorgenommen (siehe Abschnitt 2), um deren Überleitung auf die bestehenden Bankrisikokategorien greifbarer und mitigierbarer zu machen. Dies wurde aus einer Rede der SSM-Vorsitzenden Claudia Buch bei der European Systemic Risk Board (ESRB)-Jahreskonferenz im September 2024 deutlich. Ausgehend von dieser Basis wird die EZB ihre Prüfungsaktivitäten in den bestehenden Risikokategorien forcieren (siehe Abschnitt 3).

2) Geopolitisches Risiko wird in drei Transmissionskanäle eingeteilt

Gemäß EZB-Definition können geopolitische Ereignisse über die Kanäle Finanzmärkte, Realwirtschaft und Sicherheit eintreten und nahezu alle Bankrisikokategorien beeinflussen (siehe Abbildung 2). 

Screenshot: European Central Bank, geopolitical shocks
  • Finanzmärkte: Geopolitische Schocks können unter Anlegern erhöhte Unsicherheit und Risikoaversion hervorrufen, die zu Schwankungen der Vermögenspreise und erhöhter Marktvolatilität führen. Banken sind dann durch eine Werterosion ihrer Vermögensportfolios und einer sinkenden Eigenkapitalquote betroffen. Historisches Beispiel für Finanzmarktschocks ist die Finanzkrise in den Jahren 2007/08.
  • Realwirtschaft: Negative geopolitische Ereignisse können Handelsströme und Lieferketten aus dem Gleichgewicht bringen. Dies beeinflusst das Kreditportfolio der Banken, indem es zu höheren Ausfallraten und Rückstellungen führt, was wiederum die Kapitalposition der Banken schwächt. Die Covid-19-Pandemie, mit ihren Folgen für Lieferketten und Rohstoffpreisen, ist ein aktuelles Beispiel. Zusätzlich verstärken derzeitige Deglobalisierungstrends die Volatilität des Welthandels.
  • Sicherheit: Banken sind operationellen Risiken ausgesetzt, die durch Schäden an ihrer eigenen physischen oder der digitalen Infrastruktur sowie an der Infrastruktur wichtiger Drittanbieter entstehen können. Der Crowdstrike-Ausfall im Sommer 2024 hat deutlich gemacht, wie essenziell die Sicherung der IT-Infrastruktur für Finanzakteure ist. Angesichts zunehmender geopolitischer Konflikte ist mit einer weiteren Zunahme von Cyber-Attacken zu rechnen.

Eine weitere Dimension geopolitischen Risikos stellen die politischen Reaktionen auf die drei genannten Risikoquellen dar. Diese Reaktionen können in Form von Wirtschafts- und Finanz­sanktionen, Handelsbarrieren oder Änderungen der Fiskalpolitik erfolgen und führen zu erhöh­ten Compliance- und Betriebskosten für Banken. Die Sanktionierung Russlands durch die EU im Jahr 2022 ist ein Paradebeispiel für diese Risikodimension.

Übertragen auf die traditionellen Bankrisikokategorien wird deutlich, dass geopolitisches Risiko gleichzeitig auf mehrere von ihnen Einfluss hat, wie nachfolgend beleuchtet wird.

3) Der Aufsichtsfokus: Governance, Szenarioplanung, Kreditri­siko, Operationelle Resilienz

Die finanzielle Widerstandsfähigkeit der Banken hinsichtlich des erhöhten geopolitischen Risikos soll laut EZB vor allem in den Bereichen Governance, Szenarioplanung, Kreditrisiko und Ope­rationelle Resilienz in Pillar 2 adressiert werden:

  • Governance: Das Risikomanagement in Banken muss der höchst unsicheren Natur geopolitischer Risiken Rechnung tragen. Die Aufsicht erwartet von den Banken, dass sie neben einer robusten Risikokultur vor allem das Risk Appetite Framework stärken, hinsichtlich Risikoidentifikation und Verknüpfung mit den weiteren strategischen Steering-Dokumenten (u.a. Strategie, MTP, ICAAP, ILAAP). Dies wird auch die Haupt­botschaft des „ECB Guide on banks’ governance and risk culture“ sein, der demnächst veröffentlicht wird.
  • Szenarioplanung: Die EZB wird die Planungstools prüfen, die Banken für ihre ICAAP- & ILAAP-Szenarien verwenden. Über das Basisszenario hinaus sollten unterschiedlichste Entwicklungen zu Wirtschaftswachstum und Inflation berücksichtigt werden, die sich aus geopolitischen Risiken ergeben. Auch die Szenarien der Recovery-Pläne werden in diesem Sinne geprüft werden, mit besonderem Fokus auf Cyberrisiken.
  • Kreditrisiko: Negative geopolitische Ereignisse können Kreditrisiken beeinflussen. Banken müssen in der Lage sein, Verschlechterungen bei der Asset-Qualität rechtzeitig zu erkennen und angemessene Rückstellungen zu halten. Die Policies zu Kreditvergabe, Rückstellungen, Staging und Modell-Overlays müs­sen in diesem Sinne angepasst werden. Entsprechende Best Practices wurden im Juli 2024 von der EZB veröffentlicht. Die geopolitischen Ereignisse der letzten Jahre haben den Fokus der Aufsicht auch zunehmend auf das Counterparty Credit Risk (CCR) gelenkt aufgrund potenzieller versteckter Hebel. Die EZB wird dementsprechend CCR-Modelling im EU-weiten Stresstest 2025 berücksichtigen.
  • Operationelle Resilienz: Bedrohungen der physischen und digitalen Bankeninfrastruk­tur nehmen zu und erfordern verstärkte Frameworks für Business Continuity Manage­ment, Incident Response Planning, Backup Security sowie für das Management von Drittanbietern in der digitalen Lieferkette. 2024 führte die EZB ihren ersten Stresstest zur Cyber-Resilienz durch. Banken müssen in der Zukunft mit weiteren Stresstests dieser Art, dann mit höheren Anforderungsprofilen, rechnen. Banken sollten in der Lage sein, ihre eigenen Wiederherstellungsziele zu erreichen, Abhängigkeiten von kritischen exter­nen Informations- und Kommunikationstechnologie-Dienstleistern (IKT) richtig einzu­schätzen und Verluste durch einen Cyberangriff angemessen abzuschätzen. EU-Richtli­nien wie NIS-2, CER und DORA tragen diesem Umstand Rechnung.

Auf makroprudenzieller Ebene ist die Einführung positiv-zyklusneutraler Kapitalpuffer in gewis­sen Jurisdiktionen zu beachten. Der antizyklische Kapitalpuffer (Countercyclical capital buffer, CCyB) wurde ursprünglich in Phasen übermäßig aggregierten Kreditwachstums aufgebaut und während konjunkturellen Abschwüngen freigegeben. Die erhöhte Bedrohung durch unerwartete Schocks von außerhalb des Finanzsystems macht es laut Basel-Komitee („Buffer usability and cyclicality in the Basel framework”) allerdings empfehlenswert, dauerhaft CCyB-Puffer proaktiv aufzubauen („The Positive Neutral Countercyclical Capital Buffer“). Mehrere Jurisdiktionen sind dieser Empfehlung bereits erfolgt. Banken sollten diese potenzielle zusätzliche Kapitalanforderungen in ihre Kapitalplanung für die nächsten Jahre einbeziehen.

4) Next Steps: Banken sollten sich proaktiv auf die Implementierung vorbereiten

Zusammenfassend erfordert die veränderte geopolitische Lage von Finanzinstituten eine umfas­sende Überprüfung und gegebenenfalls Neuausrichtung ihrer internen Prozesse. Darunter fällt unter anderem die Adaptation von (i) Governance, (ii) Szenarioplanung, (iii) Kreditrisiko und (iv) Operationeller Resilienz. Die Einstufung von geopolitischem Risiko als Priorität 1 der SSM Supervisory Priorities 2025 – 2027 legt nahe, dass die EZB dieses Thema in den nächsten Jahren vertieft weiterverfolgen wird und mit vermehrten Prüfungen zu rechnen sein wird (Targeted Reviews, OSIs, SREP-Findings, etc.), auch wenn derzeit noch wenig Klarheit über die Timeline besteht (ausgen. Counterparty Credit Risk-Modelling im Stress Test 2025). Banken sollten demnach wachsam sein und sich mit dem Thema auseinandersetzen, um Resilienz gegenüber geopolitischen Risiken aufzubauen und mögliche Kapitalzuschläge im Zuge der aufsichtsrechtlichen Prüfung zu vermeiden. 

Wir sind für Sie da – Fragen und Austausch willkommen

Alle genannten Themenblöcke haben wir in unseren bisherigen Projekten erfolgreich mit unserem erfahrenen Team bearbeitet. Dabei haben wir Lösungen entwickelt, die auf die Bedürfnisse unserer Kunden zugeschnitten sind, insbesondere auch in den Bereichen Szenarioanalyse, Stresstests und Forecasting.

Haben Sie Fragen oder wollen Sie sich zu diesem aktuellen Thema austauschen? Dann kontak­tieren Sie uns, wir stehen jederzeit für Sie zur Verfügung.

Folgen Sie uns