Seit fast einem Jahr ist in den USA das Phänomen der "Great Resignation", die bis dato größte Kündigungswelle, zu beobachten. Dieser Trend, dem Job freiwillig den Rücken zu kehren, hat längst Europa, Indien, Australien und sogar China erreicht. Wenn dieses Phänomen eine Lehre für Arbeitgeber bereithält, dann, dass sie ihre Mitarbeitenden nicht für selbstverständlich halten sollten.
Doch viele Unternehmen tun genau das. Einige schenken qualifizierten Mitarbeiter:innen, die mit dem Gedanken spielen zu kündigen, nicht die nötige Aufmerksamkeit. Andere fördern ihre Talente kaum oder unterstützen jene unzureichend, die sich im Beruf selbstverwirklichen wollen. Sie versäumen Gelegenheiten, Vertrauen aufzubauen, das für positive Ergebnisse auf persönlicher, beruflicher und sogar gesellschaftlicher Ebene so wesentlich ist.
Diesen und anderen Punkten widmen wir uns in einer der größten jemals durchgeführten weltweiten Umfragen, der "Global Workforce Hopes and Fears Survey 2022". Befragt wurden mehr als 52.000 Arbeitnehmer:innen in 44 Ländern.
Für globale Führungskräfte werden einige unserer Ergebnisse ein Weckruf sein. Jene Mitarbeiter:innen, die sich ihres Wertes bewusst sind – d. h. diejenigen mit speziellen oder stark nachgefragten Fähigkeiten – sind bereit, ihren Marktwert zu testen. Mehr als ein Drittel der Befragten plant, im kommenden Jahr eine Gehaltserhöhung anzufragen, und 20% gaben an, dass sie mit (sehr) großer Wahrscheinlichkeit den Arbeitgeber wechseln werden. Um diese Beschäftigten zu halten, bedarf es mehr als nur extrinsische Motivationsanreize - wie das Gehalt. Denn Geld allein reicht nicht aus, um Arbeitnehmer:innen vor der Kündigung abzuhalten. Sondern häufig sind es immaterielle Faktoren im Zusammenhang mit den Arbeitsplatz-Qualitäten: Selbstverwirklichung und Arbeit mit Sinngehalt.
Aus den Ergebnissen geht hervor, dass der Diskurs über polarisierende Themen wie Politik und Gesellschaft durchaus auch am Arbeitsplatz stattfindet. Diese Gespräche finden statt, obwohl sich Unternehmen kaum aktiv darum bemühen, sie zu begünstigen. Zu unserem Erstaunen, denn genau diese Gespräche wirken sich unter den Befragten positiv aus. Zudem wünschen sich Angestellte mehr Unterstützung bei Fragen zu Umwelt, Sozialem und Governance (ESG). Auch dürfen Führungskräfte bei der Entwicklung hybrider Arbeitsmodelle nicht auf die 45% der Belegschaft vergessen, die keine Remote-Arbeit verrichten können. Diese Menschen leisten zwar wichtige Arbeit, fühlen sich aber weniger erfüllt und wertgeschätzt als Remote-Arbeitskräfte.
Für die Erreichung ehrgeiziger geschäftlicher oder gesellschaftlicher Ziele, können Mitarbeiter:innen ein Multiplikator, aber auch ein Hindernis sein. Wir haben erhoben, dass die Belegschaft das größte Risiko für das Wachstum darstellt – und gleichzeitig das wichtigste Mittel, mit dem Unternehmen wachstumsorientierte Strategien umsetzen können. Ein Verständnis dessen, kann Führungskräften dabei helfen, ihre Belegschaft zu motivieren und Anreize zu schaffen.
Unternehmen agieren in einer zunehmend polarisierten Welt, in der politische und soziale Themen die Menschen stark beeinflussen. Viele Führungskräfte befürchten, dass derartige Diskussion am Arbeitsplatz Probleme bringen könnten. Aber 65 % der befragten Beschäftigten führen diese Gespräche manchmal oder häufig. Noch höher sind die Zahlen bei Angehörigen von Minderheiten (73 %) und jüngeren Arbeitnehmer:innen (69 % bei den 26- bis 41-Jährigen, 13 Prozentpunkte mehr als bei den 58- bis 76-Jährigen).
Weder Gespräche über heikle politische Themen noch soziale Probleme polarisieren ein Arbeitsumfeld in dem Maße, wie es die Vorgesetzten befürchten. Unter den Befragten gab es einheitliche Antworten zu den überwiegend positiven Auswirkungen eines solchen Gesprächs. Bei den politisch Interessierten konnte ein besseres Verständnis für die Kolleg:innen, ein offenes und integratives Meinungsbild und eine erhöhte Empathie erzeugt werden.
Angestellte aus ethnischen Minderheiten sind noch stärker als andere davon überzeugt, dass diese Gespräche ein positiver Faktor sind. Gleichzeitig können sie auch eher auf negative Erfahrungen in diesem Zusammenhang verweisen. Insgesamt ist ihnen jedenfalls Offenheit für soziale Themen besonders wichtig.
Effekt der Diskussionen, % der Befragten1
Diese Diskussionen finden statt, auch wenn Unternehmen sie nicht fördern. Nur 30% der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen sie dabei unterstützt, effektiv mit Menschen zusammenzuarbeiten, die andere Ansichten vertreten. Dies ist eine verpasste Gelegenheit, denn Einfühlungsvermögen und Offenheit sind entscheidend für den Aufbau von Vertrauen.
Führungskräfte können Normen festlegen, Ressourcen zur Verfügung stellen und dazu beitragen, dass diese Gespräche in einem sicheren, vorurteilsfreiem Umfeld stattfinden. In einer solchen Umgebung sollte der Schwerpunkt auf dem Zuhören liegen – nicht auf dem Erzielen von Lösungen oder dem Herbeiführen eines Konsenses. Solche Begegnungen stellen auch für leitende Angestellte, die sonst für die Problemlösung zuständig sind, ein Learning dar. Die Rolle der Führungskraft besteht in dieser Situation darin, der Belegschaft Werte wie Bedeutung, Menschlichkeit und soziale Verantwortung zu vermitteln.
Wie bekommen Angestellte, die spezielle Qualifikationen mitbringen, ein Gefühl für ihren Mehrwert für das Unternehmen? Wodurch fühlen sie sich “empowered”?
Fachausbildungen sind ein Bestandteil davon. Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass ihre Tätigkeit spezielle Fertigkeiten einfordert. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Personen in den nächsten 12 Monaten eine Gehaltserhöhung verlangen, ist deutlich höher als bei der anderen Hälfte. Das Gute daran ist: Es handelt sich dabei auch um diejenigen Mitarbeiter:innen, die ihr Unternehmen als Arbeitgeber eher weiterempfehlen würden.
49% sagen, ihre Arbeit erfordert spezielles Training
% planen die folgenden Schritte in den nächsten 12 Monaten1
Ein zweiter Faktor für Empowerment sind wenig verbreitete Fertigkeiten. 29 Prozent der Befragten sagten, in ihrem Land seien Menschen mit den nötigen Skills für ihre Arbeit rar. Zu den Ländern mit dem größten wahrgenommenen Fachkräftemangel gehören Thailand, Indien und Brasilien. Die Branchen mit größten Bedarf an fachspezifischen Fertigkeiten ist das Gesundheitswesen (Pharma eingeschlossen), die IT sowie die Medien und Telekommunikation.
Wertebewusste Mitarbeiter:innen nennen mit höherer Wahrscheinlichkeit:
Der Fachkräftemangel veranlasst einige Unternehmen dazu, in die Fortbildung und höhere Löhne zu investieren — jene Faktoren, die sie am effektivsten abwickeln können. Weniger Priorität haben Automatisierung, Outsourcing und die Suche nach neuen Fachkräften. Nur 40% der Befragten sagten, dass ihr Unternehmen Schritte zum Upskilling setzen würde, und noch weniger (26%)% berichteten Schritte in Richtung Automation und Technologie zu vernehmen. Beide Aspekte zeigen großes Verbesserungspotenzial.
Dasselbe gilt für die Förderung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens der Arbeitnehmer:innenschaft - ein Brennpunkt-Thema angesichts der Mental-Health-Krise, von der derzeit viele Angestellte auf der ganzen Welt betroffen sind. Erfreulich ist dagegen, dass auch die Beschäftigten, die psychologische Beratung in Anspruch nehmen, diese als drittwichtigstes Kriterium zur Behebung des Fachkräftemangels nennen. Aber auch hier ist der Anteil in absoluten Zahlen gering: nur 29 % der Befragten gaben an, dass sie diese Unterstützung erhalten. Fazit: es bleibt Luft nach oben.
Schritte, die Unternehmen setzen, % der Befragten1
Wenn es darum geht, Mitarbeiter zu halten, ist Geld einer der Hauptfaktoren. Das ist verständlich, wenn man das ungewöhnlich starke Wachstum von Inflation bedenkt, das zum Zeitpunkt der weltweiten Umfrage verzeichnet wurde.
Männer fühlten sich häufiger als Frauen fair entlohnt. Bei Männern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Gehaltserhöhung fordern, um 9 % höher als bei Frauen. Beide Ergebnisse deuten auf die seit langem bestehenden Probleme der Vermögensunterschiede hin und zeigt auch hier wieder die gläserne Decke auf.
Geld allein reicht nicht aus, um Mitarbeitende vor der Kündigung abzuhalten. Diese sprechen fast ebenso häufig immaterielle Faktoren im Zusammenhang mit der Bedeutung ihrer Arbeit an. Berufliche Selbstverwirklichung rangiert bei den Arbeitnehmer:innen, die einen Arbeitsplatzwechsel in Erwägung ziehen, auf den Plätzen zwei und drei.
Diese Erkenntnisse decken sich mit den Ergebnissen der PwC Umfrage aus dem Jahr 2021, in der 75 % der Angestellten angaben, dass sie für ein Unternehmen arbeiten möchten, das einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet. Die Hälfte der Arbeitnehmer:innen berichtete damals auch von Diskriminierung am Arbeitsplatz.
Die wichtigsten Gründe für einen Wechsel des Arbeitgebers, % der Befragten1
In der Analyse zeigten sich auch die Faktoren, die bei Arbeitskräften mit Plänen zum Jobwechsel verstärkt auftreten. Es ist für Manager:innen entscheidend, diese Bausteine der "Resignation" zu verstehen und richtig darauf zu reagieren. So können sie rechtzeitig erkannt werden und verhindern, dass wertvolle Mitarbeiter:innen verloren gehen.
Verglichen mit Personen, die nicht an einen Jobwechsel denken, antworten unzufriedene Arbeitskräfte weniger positiv bei folgenden Faktoren:
Manager:innen, die diese Wahrnehmung seitens der Mitarbeiter:innen bemerken, können aktiv Schritte setzen, um die Employee Experience der Betroffenen zu verändern. Vorgesetzte sind nicht geübt, darüber nachzudenken, wie die Arbeit für ihre Belegschaft als sinnstiftend gesehen werden kann. Es erfordert tiefe Empathie und die Fähigkeit, Sinn und Aufgabe des Unternehmens auf die spezifische Tätigkeit von Angestellten herunterzubrechen, damit diese erkennen können, wie ihre Tätigkeit auf die Gesamtperformance des Unternehmens einzahlt.
Das erfordert auch Maßnahmen des Unternehmens, um Widersprüche zwischen Worten und Taten aufzudecken und aufzulösen. Führungskräfte können die richtige Arbeitsumgebung schaffen und Barrieren für Arbeitskräfte abbauen: übermäßige Bürokratie, Reibungspunkte, administrative Aufgaben. Investitionen in Upskilling und die Möglichkeit dem Team mehr autonomes Arbeiten anzuvertrauen, stärkt das Gefühl von "Empowerment" erheblich.
Um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem die Beschäftigten das Gefühl haben, authentisch sie selbst sein zu können: Es müssen Führungskräfte geschult, kulturelle Barrieren und blinde Flecken beseitigt werden und die Führungskräfte Verantwortung für ihre Vorbildwirkung in der Unternehmenskultur übernehmen. Vor allem sollten Führungskräfte viel genauer darauf achten, welche Erfahrungen sie ihren Mitarbeiter:innen im Vergleich zu denen der Konkurrenz bieten, und in der Lage sein, ihre Stärken und Schwächen zu benennen. Nicht erst das Ausscheiden wichtiger Mitarbeiter:innen sollte Unternehmen aufzeigen, dass sie mit ihrem Mitbewerb neben Kunden und Aufträgen auch um Arbeitskräfte konkurrieren.
Unternehmen müssen sich mit einer Vielzahl von Störungen auseinandersetzen, derzeit etwa Inflation, die Pandemie und sich schnell verändernde geopolitische und soziale Krisen. Sie alle bringen tiefgreifende Auswirkungen auf Mitarbeiter und die Personalstrategie. Führungskräfte brauchen eine systematische Methode, damit sie kurz- und langfristig planen können.
PwC hat einen Rahmen entwickelt, um die wichtigsten Störungen zu verstehen, die die Arbeitswelt im Laufe der Geschichte geprägt haben und die auch heute noch von großer Bedeutung sind. Diese vier Kräfte definieren wir als Spezialisierung, Knappheit, Rivalität und Menschlichkeit.
Es ist sinnvoll, Führungskräfte und politische Entscheidungsträger:innen daran zu erinnern, dass ein erheblicher Teil der weltweiten Belegschaft nicht remote arbeiten kann. Es sind 45 % der Befragten in unserer Umfrage und sie sind weniger zufrieden mit ihrer Arbeit als diejenigen, die hybrid oder vollständig remote arbeiten (50 % gegenüber 63 %).
Arbeitnehmer:innen, die nicht remote arbeiten können, geben auch weitaus seltener als andere an, dass sie ihre Arbeit als erfüllend empfinden, dass ihr Team an ihrem Wohlergehen Interesse hat, dass sie finanziell fair entlohnt werden oder dass sie bei ihrer Arbeit kreativ sein können. Wenn Unternehmen ihre Personalstrategien planen, müssen sie diese unzufriedenen Mitarbeiter:innen stärker berücksichtigen.
Beschäftigte sind vielfach überzeugt, dass ihr Arbeitgeber im kommenden Jahr Arbeitsmodelle anbieten wird, die ihnen entgegenkommen. 62 % der Befragten bevorzugen eine Mischung aus Präsenz- und Fernarbeit, und 63 % erwarten, dass ihr Unternehmen in den nächsten 12 Monaten dieses Modell anbieten wird, verglichen mit 72 % in der Umfrage von 2021.
26 % der Arbeitnehmer:innen würden es bevorzugen, vollständig remote zu arbeiten, aber nur 18 % glauben, dass ihr Arbeitgeber dieses Modell anbieten wird.
Ihre Erwartungen für ihre derzeitige Rolle in den nächsten 12 Monaten
Von den Vollzeit-Remote-Kräften (etwa 17 % aller Befragten) sind mehr als zwei Drittel besorgt, dass sie Entwicklungsmöglichkeiten verpassen könnten. Diese eher jüngeren Beschäftigten brauchen einen proaktiveren Ansatz für das Leistungsmanagement und die berufliche Entwicklung. Für die Führungskräfte besteht das Ziel darin, die Chancen gleichmäßig zu verteilen, unabhängig davon, ob die Mitarbeiter:innen ins Büro kommen oder zu Hause arbeiten.
Mit anderen Worten: Hybridarbeit wird sich durchsetzen. Das genaue Verhältnis zwischen Büro- und Heimarbeitszeit wird variieren, aber die Unternehmen müssen experimentieren und sich anpassen. Dazu gehört auch, dass sie sich mit den Faktoren befassen, die die Bindung an das Unternehmen erhöhen, wie Authentizität, sinnvolle Arbeit und Lohntransparenz – alles Faktoren, die schwieriger zu planen sind, wenn Mitarbeiter:innen nicht jeden Tag am selben Ort sind. Die Unternehmen müssen auch in Technologien investieren, die Remote Work unterstützen, und sie müssen für die richtige Governance bei Entscheidungen über Gehälter, Beförderungen und andere Belohnungen sorgen, um "proximity bias" zu bekämpfen.
Die Daten zeigen auch, wie sich jüngere Arbeitskräfte von anderen unterscheiden. Viele dieser Mitarbeiter:innen sind erst während der Pandemie in den Arbeitsmarkt eingetreten. Sie hatten bislang weniger persönliche Kontakte mit Kolleg:innen und Vorgesetzten, und ihre Wahrnehmung ist davon geprägt. Mitarbeiter:innen zwischen 18 und 24 sind:
Unsere Ergebnisse sind weltweite Durchschnittswerte, das heißt, jedes Unternehmen und sogar jedes Business Unit wird andere Varianten dieser Zahlen im eigenen Haus vorfinden. Wichtig ist, dass sich Unternehmen und einzelne Abteilungen mit dem Thema auseinandersetzen. Sie müssen ihre Workforce Strategie an die invidividuellen Bedürfnisse ihrer Belegschaften anpassen.
Konkret müssen Unternehmen Daten über die Stimmung der Belegschaft zu den von uns identifizierten Themen sammeln, Menschen mit gemeinsamen Eigenschaften in Personas segmentieren und für diese Gruppen priorisierte Aktionspläne entwickeln. Sie müssen das richtige Umfeld für die Mitarbeiter:innen schaffen, um soziale und politische Themen anzusprechen. Sie müssen sich zur Lohntransparenz verpflichten und in die Entwicklung von Führungskräften investieren.
Unternehmen sehen sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, darunter geopolitische und wirtschaftliche Unsicherheiten, Klimaprobleme, soziale Veränderungen und Cyber-Bedrohungen. In einem solchen Umfeld werden sie nur dann erfolgreich sein, wenn ihre Mitarbeiter:innen voll engagiert, motiviert und bereit sind, ihren Beitrag zu leisten.